[ Startseite  >>  Inhalt  >>  Grundlagen  >>  Kap. 1 ]  >>  [ Aufgaben | Literatur | Internet ]

Germanistische Sprachwissenschaft

Tonbeispiele:  [ T1   T2–T22   T23   T24   T25–T30   T31   T32–T35 ]

1 Sprache – Sprachen – Sprachgeschichte

1.1 Präliminarien – einige Grundbegriffe

1.2 Die Sprachenvielfalt

1.3 Die Einteilung von Sprachen

1.4 Sprachkontakt

1.5 Deutsch in Europa

1.6 Vorgeschichte und frühe Geschichte der deutschen Sprache

1.6.1 Die indoeuropäische Herkunft

1.6.2 Die germanischen Sprachen

1.6.3 Die Anfänge der deutschen Sprache

Aufgaben (1–40) mit Lösungen

Literatur

Internet-Einstiege

Unterkapitel:   [ 1.1   1.2   1.3   1.4   1.5   1.6 ][ zum Anfang ]

1.1   Präliminarien – einige Grundbegriffe

Die Germanistische Sprachwissenschaft (Germanistische Linguistik) befasst sich mit der deutschen Sprache als einer der vielfältigen Erscheinungsformen von Sprache. Dabei ist sie mit Fragen konfrontiert, die in der Allgemeinen Sprachwissenschaft sprachübergreifend thematisiert werden: Was kennzeichnet Sprache als Mittel der menschlichen Verständigung? Welche Formen und Regeln lassen sich aufweisen? Welche Variationen lassen sich feststellen? Was unterscheidet das Deutsche von anderen Sprachen? Im Folgenden sollen zunächst einige Begriffe vorläufig eingeführt und Perspektiven der Sprachbeschreibung erläutert werden.

Alle Sprachen der Welt ‚arbeiten‘ mit physikalischen Mitteln, die mit Bedeutungen fest verbunden sind. Gedankliche Einheiten können durch Sprache materialisiert werden. Allerdings muss dazu die Komplexität und Gleichzeitigkeit gedanklicher Einheiten in ein Nacheinander von Sprachelementen umgesetzt werden.

Die Beschreibung dieser grundlegenden Merkmale wird in verschiedenen Teilgebieten der Linguistik geleistet, auch in der Germanistischen Linguistik. Die physikalische Erscheinungsform von Sprachen ist Untersuchungsgegenstand der Phonetik, ihr Bezug auf sprachliche Einheiten der der Phonologie. Jede akustisch-auditive Sprache hat ein besonderes Lautsystem, dessen Bestandteile in immer wieder neuen Kombinationen zu bedeutungstragenden Zeichen zusammengesetzt werden. Zu einem solchen Lautsystem gehören zunächst einmal einzelne Laute, die man konventionell mit Hilfe der internationalen phonetischen Umschrift (IPA) erfasst, z.B. so:

ʃ ] ist ein Konsonant der deutschen Sprache, der in dem Wort Schule Anlaut ist,

ç ] ist ein Konsonant des Deutschen, der in ich und echt vorkommt.

Darüber hinaus haben Sprachen auch charakteristische Lautkombinationen und Silbenstrukturen, welche von der Phonologie untersucht werden.

In vielen Sprachen werden die Laute in der Graphie der Sprache repräsentiert; die Schreibung einer Sprache kann aber auch auf Einheiten wie die Silbe oder das Wort bezogen sein. Auf Normen der Schreibung bezieht man sich mit dem Begriff Orthographie. Kenntnisse der Phonologie sind notwendig, um Sprachvergleiche durchzuführen. Beispielsweise lässt man sich leicht von der unterschiedlichen Graphie bzw. Orthographie zweier Sprachen täuschen und bemerkt die Ähnlichkeit von Wörtern nicht. So entspricht das englische Wort night lautlich dem deutschen Wort Neid. Erst die Lautschrift zeigt die Gleichheit. Schrift und Schreiben werden von der Graphematik näher untersucht.

Nicht alle Sprachen der Welt verwenden akustisch-auditive Mittel. Hinsichtlich ihrer physikalischen Erscheinungsform lassen sich Lautsprachen und visuelle Sprachen, so genannte Gebärdensprachen, unterscheiden. Die typologischen Kennzeichen visueller Sprachen werden in der Gebärdensprachforschung näher untersucht. Auch dort verwendet man den Begriff „Phonologie“, da sich die funktionale Betrachtung von kleinsten bedeutungsunterscheidenden Einheiten der Sprache ebenso auf gebärdete Elemente beziehen lässt (Papaspyrou et al. 2008).

Auf die verschiedenen Arten der Wahrnehmung (auditiv und visuell) bezieht man sich in der neueren Sprachforschung mit dem Ausdruck Modalitäten. Auch lautsprachliche Kommunikation weist einen visuellen Anteil auf, den man in Abgrenzung von den Gebärden, den Einheiten visueller Sprachen, zusammenfassend als Gestik bezeichnet, wobei auch die Mimik und Körperhaltungen im Raum einbezogen werden.

Für diejenigen, die eine Sprache beherrschen, gliedert sich ein wahrgenommener Strom von Sinneseindrücken in sinnvolle, bedeutungstragende Einheiten. Die Lexik, der Wortschatz einer Sprache, wird von verschiedenen sprachwissenschaftlichen Disziplinen untersucht: der Lexikologie, Lexikographie, Semantik und Morphologie. Der Lexikologie geht es darum, möglichst den gesamten Wortbestand einer Sprache zu erfassen, auch in historischer Hinsicht. Ihr Anwendungsfeld ist die Lexikographie, die sich mit der Erfassung dieses Wortbestands in Wörterbüchern beschäftigt. Die Zusammenstellung eines sprachlichen Wortschatzes bezeichnet man als Lexikon, die darin aufgeführten Wörter als Lexeme. Die Semantik (Bedeutungslehre) zielt darauf ab, den Sinn von sprachlichen Einheiten möglichst genau zu erfassen. Semantische Fragen betreffen die Natur von Bedeutungen, insbesondere auch das Verhältnis von Lexemen untereinander, etwa das gegensätzliche Verhältnis von groß und klein, oder die Frage nach dem Bedeutungsumfang und der Hierarchie von Begriffen. Sprachvergleiche sind hier besonders interessant und wichtig: Das deutsche Wort Bruder hat z.B. einen anderen Umfang als die türkische Entsprechung, denn im Türkischen stehen zwei Übersetzungsmöglichkeiten zur Auswahl: abi (= großer Bruder) und kardeş (= kleiner Bruder).

Die Morphologie beschreibt demgegenüber die verschiedenen Formen, die Wörter einer Sprache annehmen können. Die grundlegende Einheit ist hier das Morphem. Ein Morphem kann ein Wort sein, aber auch eine Silbe wie ver- in verstehen oder eine Endung wie -st in du kommst. Zum Beispiel lässt sich das Wort Sprachen in zwei Morpheme zerlegen: in den Wortstamm sprach- und das Pluralmorphem -en. Und das Lexem sprechen erscheint in verschiedenen Formen: sprechen, spreche, sprichst usw. Bei Übersetzungen in das Deutsche ist es oft erforderlich, mehrere Wörter zum Ausdruck von Bedeutungsaspekten zu verwenden, die in anderen Sprachen durch Morpheme wiedergegeben werden. Eine türkisches Verbaladverb wie sevince (von sevmek – lieben) lässt sich im Deutschen beispielsweise nur durch Wortkombinationen (wenn / als ich liebte) übersetzen.

Wörter werden nicht einfach beliebig aneinandergereiht, sie gehören zu Sätzen und Wortgruppen wie das zum Verkauf angebotene Haus in der Bahnhofstraße, deren Aufbau die Syntaxlehre, abkürzend auch oft Syntax genannt, untersucht. Der Begriff Grammatik bezieht sich als Oberbegriff meist auf die beiden Gebiete Morphologie und Syntax, gelegentlich auch auf die Phonologie.

Bei den verschiedenen Arten der Äußerung gilt es, zwischen gesprochener und geschriebener Sprache zu unterscheiden. Mündliche Sprache wirkt ausgehend von schriftsprachlichen Normen oft fehlerhaft oder unvollständig; sie unterliegt eigenen Gesetzmäßigkeiten, der „Grammatik der gesprochenen Sprache“ (z.B. Duden 2009). Einheiten und Charakteristika der gesprochenen Sprache werden in der Gesprächsforschung (Diskursforschung, Gesprächsanalyse) näher untersucht.

Im Verlauf seines Lebens eignet sich jeder Mensch eine, zumeist sogar mehrere Sprachen an. Als linguistisches Teilgebiet beschäftigt sich die Spracherwerbsforschung mit diesen Prozessen. Die verschiedenen, im Verlauf eines Menschenlebens erworbenen Sprachen bezeichnet man in Anlehnung an den angloamerikanischen Sprachgebrauch in chronologischer Reihenfolge als L1, L2, L3, L4 usw. (L = language, Sprache). Die erste Sprache, die ein Kind erwirbt, wird als „Erstsprache“ (L1) bezeichnet. (Der früher häufig genutzte Ausdruck „Muttersprache“ wird im deutschsprachigen Raum aufgrund seiner ideologischen Implikationen heutzutage seltener verwendet.) [ 1 ]

Auf alle nach der Erstsprache erworbenen Sprachen (L2, L3 usw.) bezieht man sich mit dem Oberbegriff Fremdsprache. Bei Deutsch als Fremdsprache steht das Deutsche also vor dem Hintergrund biographisch früher erworbener Sprachen. Von der (meist schulischen) Vermittlung in anderen Ländern (Deutsch als Fremdsprache im Ausland) zu unterscheiden ist dabei ein Spracherwerb im Inland (Deutsch als Zweitsprache).

Der Begriff „Zweitsprache“ bezieht sich nicht auf eine chronologische Abfolge und die biographisch zweite Sprache (L2), sondern auf eine Lebenskonstellation, in der die Sprecher einer Fremdsprache im zielsprachigen Land leben bzw. in denen die Amts- und Landessprache (hier Deutsch) nicht die im Kleinkindalter erworbene Erstsprache ist. Typischerweise findet sich eine solche Konstellation in den klassischen Einwanderungsländern. Migranten behalten häufig ihre Erstsprachen als Familien- und Freundessprachen bei. Für die Betreffenden (Erwachsene, Jugendliche und Kinder) kann die Zweitsprache eine L2, aber auch eine L3, L4 oder L5 sein. Werden von Geburt an mehrere Sprachen gleichzeitig erworben, spricht man von einem „bilingualen Erstspracherwerb“.

Mit dem Dolmetschen und Übersetzen als mündliche und schriftliche Formen der Translation zwischen Sprachen beschäftigt sich die Translationswissenschaft. Bei der Translation werden Äußerungen Personen zugänglich gemacht, die diese Sprache nicht beherrschen. Wechseln hingegen mehrsprachige Sprecher in Gesprächen oder Texten zwischen verschiedenen der von ihnen beherrschten Sprachen, bezeichnet man das als Code Switching.

Unterkapitel:   [ 1.1   1.2   1.3   1.4   1.5   1.6 ][ zum Anfang ]

1.2   Die Sprachenvielfalt

Die deutsche Sprache steht vor dem Hintergrund einer international und national präsenten Sprachenvielfalt. „Sprache, das heißt Sprachen“, lautet ein bekannter Buchtitel von Weinrich (2003). Wie viele Sprachen gibt es überhaupt? Die Anzahl der weltweit vorfindlichen Sprachen geht in die Tausende; oft liest man die Zahl 4.000, manche Nachschlagewerke sprechen von rund 5.000, andere sogar von 6.800 Sprachen. [ 2 ] Der Ethnologue (Lewis 2009), das weltweit größte, auch online verfügbare Sprachenverzeichnis, führt 6.909 Sprachen auf.

Die Schwierigkeit einer exakten Zählung von Sprachen resultiert daraus, dass man mit guten Gründen verschiedene Kriterien zugrunde legen kann:

a) Außer einigen alten, längst ‚ausgestorbenen‘ Sprachen (wie Tocharisch) gibt es andere, bei denen nicht klar ist, ob sie heute noch als ‚lebende Sprachen‘ gelten können, da sie nur von wenigen beherrscht und kaum gesprochen werden. Seit dem 20. Jh. gibt es einen sehr massiven Prozess des ‚Sprachensterbens‘. Zum Beispiel schätzt man, dass es im 19. Jh. in Brasilien noch über 1.000 Indianersprachen gab, heute sind es nur noch unter 200. [ 3 ]

b) Nicht immer ist die Einheit einer Sprache in einer bestimmten Nation oder Region und einer Sprechergemeinschaft klar erkennbar. Regionale Unterschiede in Wortschatz und Aussprache (Dialekte und sog. Regiolekte) werden als Varietäten oder Varianten einer Sprache bezeichnet. Aus politischen und historischen Gründen kann eine regional begrenzte Varietät zu einer eigenen Sprache werden. Schwedisch, Dänisch und Norwegisch sind solche Sprachen, die auf verschiedene Dialekte des Germanischen zurückgeführt werden können. Gemeinsamkeiten und Ähnlichkeiten sind nach wie vor feststellbar. Man kann aus der Unterscheidung zwischen „Sprache“ und „Dialekt“ nicht erschließen, wie groß die Unterschiede oder Ähnlichkeiten sind. Das Schweizerische Deutsch [ (T1)  Lautsprecher  ] bespielsweise unterscheidet sich recht stark vom Standarddeutschen. Die chinesischen Dialekte unterscheiden sich wahrscheinlich sogar stärker voneinander als die romanischen Sprachen. Zudem zeigt sich, dass Sprachen sich aufspalten können. So existiert das Serbokroatische heute nicht mehr als eine Sprache, ebenfalls aus politischen Gründen: Serbisch und Kroatisch werden mit mehr oder weniger nationalistischen Motiven zu selbstständigen Nationalsprachen gemacht[ 4 ]

c) Bei weniger gut erforschten Sprachen, deren Sprecher sich regional nahe sind, ist ihre tatsächliche Differenz oft schlecht erfasst worden, weil sie aufgrund von Entlehnung (dazu Kap. 1.4 und 4) starke Überschneidungen im Wortschatz aufweisen. Das betrifft vor allem Sprachen in Afrika, Südamerika und Südostasien. Zudem kann ein Dialekt einer Sprache sich fast unmerklich zu einer anderen Sprache hin entwickeln, was der amerikanische Linguist John Lyons im deutsch-niederländischen Grenzraum gegeben sieht. [ 5 ]

d) Hinzu kommt das Problem, dass Sprachen und Dialekte oft viele Namen haben, manchmal aus der Volksbezeichnung abgeleitet, oft aber auch aus äußeren Gründen. Unterschiedliche Verschriftung oder Übertragung von Namensschreibungen in ganz anders geartete Schriftsysteme haben zu einer Reihe von international nebeneinander gebräuchlichen Sprachnamen geführt. Linguisten kommen aufgrund von sachlichen, systematischen Kriterien oft zu neuen Namen. Das Handbuch „Classification and Index of the World’s Languages“ von Voegelin / Voegelin (1977) hat 4.500 verschiedene Sprachen erfasst, für die insgesamt ca. 20.000 (!) verschiedene Namen existieren.

Allgemein sind zwei Kriterien zur Abgrenzung von Dialekten (Mundarten) von Sprachen zu nennen:

a) Dialekte / Mundarten sind regional beschränkt vorkommende Sprachformen, die von der Mehrzahl der Einheimischen im Alltagsleben gebraucht werden; sie haben eigene Artikulationsweisen, mehr oder weniger eigene Lexeme und meist auch grammatische Besonderheiten, Abweichungen oder Defizite gegenüber der Standardsprache;

b) sie existieren als gesprochene Sprache, d.h. es gibt keine standardisierte Verschriftlichung. So kommt es dazu, dass mehrere Dialekte von einer gemeinsamen Schriftsprache sozusagen „überdacht“ werden.

Sprachen sind also sehr oft keine klar abgegrenzten und zuverlässig zählbaren „Größen“.

Tab. 1 gibt eine Übersicht über einige der derzeit gesprochenen Sprachen und die geschätzte Zahl ihrer Sprecher (L1) sowie einige Tonbeispiele (Zahlen und Wörter des Grundwortschatzes).

Tab. 1:   Einige ausgewählte Sprachen, Sprecher und Vorkommen [ 6 ]

SpracheSprecherzahlVorkommenTonbeispiele
Arabisch180 Mio.Nordafrika, Naher Osten, Arabische Halbinsel[ (T2)  Lautsprecher  einsprachig ]
[ (T3)  Lautsprecher  zweisprachig ]
Chinesisch (Mandarin)731 Mio.China, Taiwan, Südostasien[ (T4)  Lautsprecher  einsprachig ]
[ (T5)  Lautsprecher  zweisprachig ]
Deutsch123 Mio. [ 7 ]Deutschland, Österreich, Schweiz[ (T6)  Lautsprecher  einsprachig ]
Englisch400 Mio.USA, UK, Kanada, Irland, Australien / Neuseeland, Südafrika[ (T7)  Lautsprecher  einsprachig ]
[ (T8)  Lautsprecher  zweisprachig ]
Ewe2 Mio.Ghana, Togo[ (T9)  Lautsprecher  einsprachig ]
[ (T10)  Lautsprecher  zweisprachig ]
Italienisch60 Mio.Italien, Argentinien, Frankreich, USA, Kanada...[ (T11)  Lautsprecher  einsprachig ]
[ (T12)  Lautsprecher  zweisprachig ]
Japanisch126 Mio.Japan, Brasilien, USA[ (T13)  Lautsprecher  einsprachig ]
[ (T14)  Lautsprecher  zweisprachig ]
Koreanisch60 Mio.Nord-, Südkorea, Japan[ (T15)  Lautsprecher  einsprachig ]
[ (T16)  Lautsprecher  zweisprachig ]
Russisch155–300 Mio.Russland und Nachbarstaaten[ (T17)  Lautsprecher  einsprachig ]
[ (T18)  Lautsprecher  zweisprachig ]
Tschechisch11,7 Mio.Tschechische Republik[ (T19)  Lautsprecher  einsprachig ]
[ (T20)  Lautsprecher  zweisprachig ]
Türkisch50 Mio.Türkei, Europa[ (T21)  Lautsprecher  einsprachig ]
[ (T22)  Lautsprecher  zweisprachig ]

Deutsch rangiert nach Austin (2008) gegenwärtig auf Rang 10 der weltweit gesprochenen Sprachen. Von der Sprecherzahl her ist es dem Japanischen vergleichbar.

Den ca. 194 größeren und kleineren Staaten der Welt stehen rund 5.000 Sprachen gegenüber. Der einfache Fall, dass eine Sprachgemeinschaft mit einer Nation zusammenfällt, ist, wie die obige Tabelle zeigt, selbst innerhalb Europas mit seinen relativ homogenen Sprachgemeinschaften keineswegs die Regel:

„Sprachgrenzen und Staatsgrenzen waren in Europa zu keiner Zeit synchronisiert. Nur in wenigen Gebieten des europäischen Kontinents decken sich sprachgeographische und territoriale Grenzen, und zwar dort, wo die geopolitischen Verhältnisse naturgegeben sind. Das einzige klassische Beispiel in Europa ist der Inselstaat Island mit seiner sprachlich homogenen Bevölkerung.“ [ 8 ]

Es wird deutlich, dass sich nicht nur die Zahl der Sprachen, sondern auch die Zahl der Sprecher einer Sprache oft nur schwer angeben lässt. So erkennt etwa Crystal (1997, S. 445) für das Deutsche und das Französische „widespread second language use“ und für das Englische „worldwide second language usage“, d.h. eine sehr häufige Verwendung als Zweitsprache. Dabei führt er allerdings zahlreiche Länder, in denen Englisch oder Französisch Amtssprache (Staatssprache, Verwaltungssprache) ist, in seiner Übersicht nicht auf. Amtssprache ist Englisch z.B. in Ghana, Liberia, Nigeria; Französisch z.B. in Kamerun, Togo oder der Republik Niger. Tatsächlich ist es in vielen Fällen so, dass die Sprache, die im jeweiligen Staat als Amtssprache verwendet wird, nicht dieselbe ist wie die, die in Familie und alltäglichem Umfeld von der Bevölkerung verwendet wird. Im Zuge der Kolonialisierung wurden viele Sprachen durch die europäischen, besonders Englisch, Spanisch, Französisch, ganz oder teilweise verdrängt und bedeutungslos gemacht. Nach dem Ende der Kolonialherrschaft konnten die Sprachen der Kolonialherren aus verschiedenen Gründen meist nicht durch eine landeseigene Sprache als Amtssprache ersetzt werden. Die landeseigenen Sprachen – häufig waren es mehrere – wurden allmählich sog. „Heimsprachen“ oder „Familiensprachen“, d.h. sie verloren an „kommunikativer Reichweite“.

Für Sprachkonstellationen, in denen verschiedene Sprachvarietäten oder Sprachen nebeneinander existieren und gesamtgesellschaftlich für unterschiedliche Lebensbereiche verwendet werden, wird im Anschluss an Charles Ferguson meist der Ausdruck Diglossie verwendet. Der Ausdruck wird in einem spezielleren Sinn benutzt als seine deutsche Übersetzung „Zweisprachigkeit“ und als der Terminus „Bilingualismus“, der sich im Allgemeinen auf die Sprachfähigkeit eines Sprechers bezieht.

KS, Student aus Togo, ist mit einer diglossischen Konstellation der Sprachen Ewe und Französisch aufgewachsen:

Tonbeispiel: [ (T23)  Lautsprecher Sprachkonstellation in Togo ]

Gegenwärtig ist zu beobachten, dass immer mehr Sprachen „aussterben“. Nur knapp 300 der weltweit vorkommenden Sprachen haben mehr als eine Million Sprecher, und nur 100 besitzen einen offiziellen Status. Alle anderen gelten heute in wirtschaftlicher und politischer Hinsicht als mehr oder weniger bedeutungslos, 80-90% gelten als bedrohte Sprachen. Ca. 50 Sprachen sind derzeit nur noch einem einzigen Sprecher bekannt, werden also nicht mehr aktiv praktiziert. Viele Sprachwissenschaftler und Ethnologen engagieren sich seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts für die Untersuchung und z.T. auch für den Erhalt von bedrohten Sprachen. Die Sprachenvielfalt hat für sie wissenschaftlichen Wert, sie offenbart den Reichtum an grammatischen und lexikalischen Formen. Gerade in den „kleinen“, gefährdeten Sprachen findet sich oft Überraschendes. Zum Beispiel gibt es im Kaukasus Sprachen, die deutlich mehr Kasusformen haben als die anderen: Das Lesgische liegt mit 18 Kasusformen an der unteren Grenze, das Tabasaranische hat sogar 47 Kasusformen. Diese Kasuszahl hielten viele für das Maximum, tatsächlich gibt es aber eine Sprache mit 126 Kasusformen. [ 9 ] Ein Beispiel für ein aktuelles Forschungsvorhaben ist der „Weltatlas der Sprachstrukturen“, der zur Zeit am Max-Planck-Institut in Leipzig entsteht.

Darüber hinaus ist der Spracherhalt eine politische Frage, er hängt von gesetzlichen und finanziellen Maßnahmen der Förderung und Aufrechterhaltung ab. Solche gezielte Beeinflussung heißt Sprachplanung, sie findet meist im Rahmen einer Sprachpolitik statt. Einige wenige Sprachen sind vollständig durch Sprachplanung entstanden; die bekannteste ist das Esperanto, als europäische Verständigungssprache und moderne lingua franca gedacht. [ 10 ]

Das Interesse, eine Sprache als Fremdsprache zu erlernen, spiegelt deren sprachenpolitische Bedeutung und die wirtschaftlichen Verflechtungen zwischen den beteiligten Ländern. Zur Sprachpolitik gehört es daher auch, das Erlernen der jeweiligen Nationalsprache als Fremdsprache im Ausland zu fördern. Anders als die Fremdsprache Englisch wird Deutsch selten als erste Fremdsprache (L2) erlernt, sondern bildet für die Lernenden häufiger die dritte oder vierte Fremdsprache. Nach Angaben des „Netzwerks Deutsch“, einer Arbeitsgruppe, die vom Auswärtigen Amt, dem Deutschen Akademischen Austauschdienst, dem Goethe-Institut und der Zentralstelle für das Auslandsschulwesen getragen wird, lernen gegenwärtig ca. 14 Millionen Menschen weltweit Deutsch als Fremdsprache an Schulen, Universitäten und anderen Einrichtungen im Ausland. [ 11 ] Rund 87% von ihnen sind Schüler, zumeist der Sekundarstufe II. Die meisten Lerner (jeweils über 2 Millionen) finden sich in Polen und der Russischen Föderation; ca. eine Million Deutschlerner gibt es aber z.B. auch in Frankreich, rund 440.000 in Tschechien, 300.000 in der Türkei und in Japan, 140.000 in Mali und 1.900 in Uruguay.

Unterkapitel:   [ 1.1   1.2   1.3   1.4   1.5   1.6 ][ zum Anfang ]

1.3   Die Einteilung von Sprachen

Ausgehend von vergleichenden Beschreibungen sowie von sprachgeschichtlichen Dokumenten werden die Sprachen der Welt üblicherweise in verschiedene Gruppen eingeteilt, die bestimmte Merkmale gemeinsam haben. Solche Einteilungen können typologisch vorgenommen werden (Sprachtypologie), oder aber man fragt nach historisch-genetischen Beziehungen zwischen den Sprachen. Dann ist meist von einer Sprachfamilie die Rede. Als anschauliches Bild wurde in der Sprachforschung des 18./19. Jh. meist die Metapher des Baumes (Wurzeln, Stämme, Zweige) verwendet. Man nahm also an, dass zwischen bestimmten Sprachen eine Art Verwandtschaft besteht. Heute spricht man von einer genealogischen Beziehung. Die Feststellung der Zusammengehörigkeit für die einzelnen „Familien“, „Stämme“ oder „Zweige“ war dafür wesentlich. Zum einen gibt es Sprachen, deren Herausbildung aus einer gemeinsamen Grundsprache aufgrund vieler schriftlicher Belege nachgewiesen werden kann. Dies gilt z.B. für die Entstehung der so genannten „romanischen“ Sprachen aus dem Lateinischen. In anderen Fällen ist eine gemeinsame Ursprache nicht schriftlich belegt, kann jedoch aufgrund vieler Indizien erschlossen werden. Dies gilt z.B. für die historisch angenommene Grundsprache „Indoeuropäisch“. Die dritte Art der Zusammenfassung zu einer „Familie“ ist eine eher lockere, geographisch begründete. Das ist beispielsweise bei den so genannten „Indianersprachen“ oder bei den afrikanischen Sprachen der Fall. Häufig wird auch eine bestimmte Sprache in verschiedenen Klassifikationen unterschiedlich zugeordnet. So ist z.B. die Verwandtschaft von Finnisch und Ungarisch weniger offensichtlich als die von Finnisch und Estnisch; uralische und altaische Sprachen werden manchmal zusammengefasst, manchmal nicht.

Abb. 1 enthält einige Beispiele für als gesichert geltende Sprachfamilien, um die Einteilung der Weltsprachen in Sprachfamilien zu zeigen.

Abb. 1:   Verschiedene Sprachfamilien

Abbildung 1

Die Gruppe der indoeuropäischen Sprachen wird in Kap. 1.6 und Kap. 2 genauer dargestellt.

Unterkapitel:   [ 1.1   1.2   1.3   1.4   1.5   1.6 ][ zum Anfang ]

1.4   Sprachkontakt

Der Begriff des Sprachkontakts liefert ein weiteres Stichwort für ein linguistisches Thema, das ebenfalls mit der Verschiedenheit der Sprachen zu tun hat. Im „Linguistischen Wörterbuch“ von Lewandowski [ 12 ] wird Sprachkontakt so erklärt:

„Sprachberührung oder gegenseitiges Aufeinanderwirken von Sprachen aufgrund kommunikativer Interaktionen von Sprechern unterschiedlicher Sprachen unter besonderen geographischen, historisch-politischen, kulturellen und sozialen Gegebenheiten mit erkennbaren Einflüssen von Sprachen aufeinander, die als Sprechgewohnheiten und u.U. bleibende Sprachveränderungen manifest werden.“ (Bd. 3, S. 1027)

Solche besonderen Gegebenheiten bestehen häufig in Grenzgebieten mit vielfältigen Kontakten der Bevölkerungen. Als frühes Beispiel kann man die Kontakte zwischen Römern und Germanen nennen, die in der Vorgeschichte der deutschen Sprache für eine Vielzahl lexikalischer Übernahmen aus dem Lateinischen in die deutsche Sprache gesorgt haben. Wörter wie Kopf (lat. cupa), Fenster (lat. fenestra), Becher (lat. bicarium) oder Münze (lat. moneta) sind nur für Eingeweihte noch als ursprünglich lateinische zu erkennen. [ 13 ]

Wörter wie Keller, Wein und Kaiser haben mit der Übernahme politischer Praktiken und Kulturtechniken zu tun. Manche Wörter wurden in verschiedenen Phasen mehrfach entlehnt. Das lateinische Wort cellarium (Vorratskammer) wurde z.B. in der „ersten lateinischen Welle“ zu ahd. kellari, später Keller; in der „zweiten lateinischen Welle“, nach der Lautverschiebung (s.u.), wurde es noch einmal übernommen zu Zelle. In dieser Phase (frühes Mittelalter) war Latein besonders im christlichen Sprachgebrauch einflussreich. Darüber hinaus ist Latein bis in die heutige Zeit hinein wesentlich für die Terminologie der wissenschaftlichen Fächer.

Ein anderes Beispiel für Sprachkontakt: Bei den Sprachen der Balkanregion gibt es – obwohl keine Sprachfamilie vorliegt – so viele Ähnlichkeiten, dass man diese Sprachgruppe als „Sprachbund“ bezeichnet. Solche Sprachbeziehungen werden aktuell genauer erforscht.

Verschiedene sprachliche Phänomene des Deutschen lassen sich durch Sprachkontakt erklären. Die typische Anfangsbetonung des Deutschen ist nach Haarmann [ 14 ] ein Reflex früher Kontakte von germanischen zu finnisch-ugrischen Sprachen im Ostseeraum; diese Sprachen haben durchgängig Anfangsbetonung (siehe unten). Abweichungen von dieser Grundregel gibt es wiederum im Deutschen, besonders auffällig bei Entlehnungen aus dem Französischen wie reparieren. Das Saarländische [ (T24)  Lautsprecher  ] bietet ein anderes Beispiel für französischen Einfluss auf den Wortschatz.

Die meisten Untersuchungen gibt es naturgemäß über solche Sprachen, zwischen denen Sprachkontakt besteht, denn bei deren Sprechern gibt es im Allgemeinen auch ein Interesse an Pflege und Ausbau der Beziehungen. Die Sprachkontaktforschung ergänzt die kontrastiven Untersuchungen, indem sie zeigt, wo und welche wechselseitigen Beeinflussungen von Sprachen stattgefunden haben und aktuell stattfinden. Harald Haarmann (1993) stellt das „Sprachengewirr“ in Europa in seinem Buch mit dem Untertitel „Geschichte und Zukunft der Sprachnationen zwischen Atlantik und Ural“ ausführlich dar.

Parallel zu dem oben beschriebenen Verschwinden von Sprachen in den ehemaligen Kolonialstaaten sind durch Sprachkontakt auch Sprachmischungen entstanden, von denen sich manche zu eigenen Sprachen verfestigt haben. Die Bevölkerung des kolonisierten Landes musste sich für den Handel und im amtlichen Verkehr der Kolonialsprache bedienen, oft ohne sie in Schulen oder Sprachkursen lernen zu können. Das Ergebnis war zunächst eine in jeder Hinsicht stark reduzierte Verkehrssprache auf Basis der dominanten „Spendersprache“: Ein Teil von deren Wortschatz wurde lautlich angepasst an die Landessprache (indigene Sprache), auch ein Teil der Grammatik der europäischen Sprache wurde adaptiert, d.h. oft stark vereinfacht und mit Elementen einer oder mehrerer lokaler Sprachen vermischt. Man nennt eine solche Mischsprache Pidgin oder Pidginsprache[ 15 ] Einige dieser Pidginsprachen wurden im Laufe der Zeit auf Kosten der ursprünglichen Muttersprachen in Wortschatz und Grammatik ausgebaut und teilweise oder ganz standardisiert, d.h. zu Amtssprachen erhoben (z.B. im westindischen Bereich). Man spricht dann von Kreolsprachen. Das ansonsten ungewöhnliche Aufgeben der Muttersprache ist daraus erklärbar, dass viele Sprecher aus ihren angestammten sozialen Zusammenhängen herausgerissen wurden. Die Weiterentwicklung eines Pidgin zu einer „vollwertigen“ Sprache, die auch in den Schulen gelehrt wird, zieht sich über einen größeren Zeitraum hin.

Ein frühes Beispiel für eine Pidginisierung und anschließende Entwicklung zu Kreolsprachen bieten die romanischen Sprachen. Grundlage war das in den römischen Kolonien gesprochene Volkslatein der ersten Jahrhunderte n.Chr. Prozesse des Ausgleichs und der Assimilation dieses Lateins an germanische Gegebenheiten führten, kurz zusammengefasst, zu den später als Italienisch, Spanisch, Französisch etc. standardisierten Sprachen. [ 16 ] Mit solchen Vorgängen beschäftigt sich außer der Sprachkontaktforschung und der Sprachgeschichtsforschung auch die Kreolistik.

Als Kolonialsprache trat Deutsch in wesentlich geringerem Ausmaß in Erscheinung als Englisch oder Französisch. Die relativ kurze Zeit des deutschen Kolonialismus im Deutschen Kaiserreich des 19. Jahrhunderts betraf vor allem Namibia („Deutsch-Südwestafrika“), Togo, Kamerun und einige weitere Länder. [ 17 ] Nach dem Ersten Weltkrieg wurden fast alle Kolonien aufgeben. In Namibia besitzt das Deutsche heute den Status einer anerkannten Minderheiten- und Verkehrssprache. Im kolonialen Zusammenhang entstand dort auch eine deutsch basierte Mischsprache (Küchendeutsch, Namibian Black German). Auch in Papua-Neuguinea entwickelte sich ein deutsch basiertes Pidgin (Unser Deutsch, Rabau Creol German). Zudem gab es einen Entwurf, die deutsche Sprache von vornherein in einer pidginisierten Form zu lehren („Kolonialdeutsch“, Mühleisen 2005, s. (B1)).

(B1) Kolonialdeutsch (aus: Mühleisen 2005, S. 38)

(W = Weißer, Plantagenbeamter, E = Eingeborener)

W: „Ist dir schwer gewesen, Deutsch lernen?“

E: „Nein, bana, gar nit schwer. De neue Sprache ist gut für die Eingeborenen; de ist leicht für uns, weil de hat nit viele Worten. Ich habe können sagen keine deutsche Wort vor fünf oder sechs Monaten. Niemand tat verstehen mir an Anfang. Das ist gewesen nit gut für meine Arbeit. De Vormann (Aufseher) tat zanken mir oft; ich habe nit können verstehen, was er tat befehlen. Ja, de neue Sprache ist sehr gut für uns.“

In der gegenwärtigen Sprachkontaktforschung zieht man es vor, die pidginisierten Formen des Deutschen als Kontinuum von Lernervarietäten zu betrachten. Dies gilt auch für andere Kontaktsprachen wie das „Bosnische Pidgindeutsch“, das „Halbdeutsch“ in Estland und Lettland oder das „Wolgadeutsch-Pidgin“ im Ural. [ 18 ]

In der Sprachkontaktforschung wurde auch diskutiert, ob im Blick auf das Deutsche als Zweitsprache von einem neuen deutschbasierten Pidgin gesprochen werden kann. Diese Vermutung äußerte in den 1960er Jahren zuerst der Linguist Michael Clyne (1968). Man vermutete, dass begrenzte Sprachkontakte zwischen Deutschen und neu angeworbenen Arbeitskräften aus verschiedenen Ländern (Italien, Spanien, Griechenland, Jugoslawien und der Türkei) zur Entwicklung einer begrenzten Hilfssprache führen würden, die man als „Gastarbeiterdeutsch“ oder „Deutsch ausländischer Arbeiter“ bezeichnete. Diese Annahme wurde allerdings wieder verworfen. Eine größere Stabilität wird demgegenüber jugendlichen Ethnolekten zugesprochen, die als Varietäten des Deutschen mit einem Potenzial zum Sprachwandel betrachtet werden (RIEHL 2009. S. 133).

Unterkapitel:   [ 1.1   1.2   1.3   1.4   1.5   1.6 ][ zum Anfang ]

1.5   Deutsch in Europa

Deutsch als Erst- oder Zweitsprache ist die Sprache von ca. 123 Millionen Menschen, teilweise außerhalb von Deutschland, und damit die „größte“ Sprache im westlichen Europa. [ 19 ] Das Deutsche ist eine der 23 Amtssprachen der Europäischen Union. Es besitzt im europäischen Raum den Status einer internationalen Handels- und Verkehrssprache und findet in der europäischen Wirtschaftskommunikation auch oft als lingua franca Einsatz:

“Whilst English is the most commonly used foreign language it is clear that many other languages are commonly used for business. For example, German is much used by Polish companies; and French and Spanish by Portuguese companies. With the exception of Spain and Portugal, we see a very strong positioning of German as a major second lingua franca of European business.” (European Commission, ELAN-Studie, 2006, S. 11)

Als Standardvarietät gilt neben dem Deutschen in Deutschland auch das Deutsche in Österreich und der Schweiz. Die regional unterschiedlichen Erscheinungsformen gelten als kodifizierte und als Staatssprachen anerkannte Varianten der deutschen Sprache. Ein Variantenwörterbuch (Ammon et al. 2004) ermöglicht den Vergleich und das Nachschlagen eines unbekannten Wortes wie Paradeiser, das in Teilen von Österreich in Gebrauch und eine Variante des Lexems Tomate ist.

Einen Status als regionale Amtssprache besitzt das Deutsche in Italien (Südtirol), in Luxemburg und in Belgien. Außerdem wird es von verschiedenen Minderheiten in ca. 14 europäischen Staaten gesprochen. Aufgrund der regionalen Verteilung wird Deutsch (ebenso wie das Englische oder Französische) als plurizentrische Sprache betrachtet. Die folgende Tabelle nennt die wichtigsten Länder, deren Bevölkerung Deutsch als Primär- oder Zweitsprache spricht:

Tab. 2:   Deutschsprachige Länder (Zahlen nach Haarmann 2000)

Deutschland81,5Mio. Sprecher
Österreich  7,6Mio.
Schweiz  4,2Mio.
USA  1,2Mio.
Frankreich  1,2Mio. (Elsass-Lothringen)
Kasachstan  0,95Mio.
Russland  0,84Mio. (vor allem in Sibirien)
Luxemburg  0,37Mio.
Italien  0,28Mio. (Südtirol)
Ungarn  0,25Mio.
Tschechien  0,15Mio.

Die regionale Verbreitung hat wiederum zu einer inneren Vielfalt und regionalen Differenzierung der Sprache geführt, die sich vor allem im Wortschatz zeigt. Im „Wortatlas der deutschen Umgangssprache“ von Jürgen Eichhoff werden Unterschiede in der Umgangssprache aller Regionen in Deutschland und Österreich und darüber hinaus auch von Südtirol berücksichtigt. Schon innerhalb von Deutschland sind die sprachlichen Differenzen groß genug, dass ein Hamburger, ein Schwabe und ein Bayer sich gegenseitig oft nur mühsam und unvollständig verstehen würden, wenn sie unverfälschten Dialekt miteinander sprechen würden. Das gilt noch mehr für das „Schwyzerdütsch“, das im deutschen Fernsehen meist mit hochdeutschen Untertiteln versehen wird. Wegen dieser Vielfalt ergibt sich die Frage, was genau die deutsche Sprache eigentlich, d.h. im Kern, konstituiert:

Ist „Deutsch“ die Summe aller seiner Dialekte und Varianten, oder ist es eher nur die Schnittmenge seiner Dialekte, also das, was allen gemeinsam ist? Oder ist Deutsch nur die nicht-dialektale Hochsprache? Aber wo und von wem wird diese eigentlich gesprochen? Außerdem: Sind frühere sprachgeschichtliche Stufen, in unserem Fall also das Alt-, Mittel- und Frühneuhochdeutsche, als historische Sprachvarianten mitzurechnen?

Tonbeispiele: [ (T25)  Lautsprecher  Ruhrgebiet ] [ (T26)  Lautsprecher  Saarländisch ] [ (T27)  Lautsprecher  Oberbairisch ]
[ (T28)  Lautsprecher  Schwäbisch ] [ (T29)  Lautsprecher  Schweizerisch ] [ (T30)  Lautsprecher  Südtirolerisch ]

Zu den Dialekten des Deutschen gehören unter anderem das Bairische [ 20 ], das über Deutschland hinaus in Österreich gesprochen wird, verschiedene alemannische Dialekte (Schwäbisch, Elsässisch), niederdeutsche (Nordniedersächsisch, Westfälisch, Brandenburgisch, Ostpommerisch) und mitteldeutsche Dialekte (Fränkisch, Hessisch, Sächsisch, Thüringisch, Böhmisch). Proben phonetisch transkribierter Dialekte geben Sperlbaum (1975) und Rues et al. (2007). Die Zahl „echter“ Dialektsprecher geht seit vielen Jahren deutlich zurück. Es gibt jedoch auch entgegenwirkende Tendenzen durch sprachpflegerische Bemühungen. [ 21 ]

Tonbeispiel: [ (T31)  Lautsprecher  Interview mit Sprecher N über bairischen Dialekt ]

Umgekehrt betrachtet ist Deutschland nicht einfach ein Land, in dem nur Deutsch gesprochen wird. Für einen nicht unerheblichen Teil der Bevölkerung Deutschlands ist Deutsch eine Zweitsprache. Im Norden Deutschlands findet man verschiedene homogene Sprachgemeinschaften, so genannte autochthone Minderheiten. Als solche bezeichnet man Sorben, Friesen und Dänen, die schon lange auf deutschem Gebiet wohnen. Sprachen, die von solchen relativ stabilen Sprachgemeinschaften neben der offiziellen Sprache eines Staates gesprochen werden und als regionale Amtssprachen anerkannt sind, nennt man auch Binnenfremdsprachen.

Das Friesische ist Muttersprache von ca. 750.000 Menschen, von denen die meisten in den Niederlanden leben. In der deutschen Region Friesland sind 75% der Bevölkerung friesischsprachig. Das Westfriesische besitzt dort den Status einer regionalen Amtssprache und ist auch als Regionalsprache der EU anerkannt. Das Sorbische wird heute nur noch von rund 60.000 Sprechern im äußersten Südosten Deutschlands, nahe der tschechisch-polnischen Grenze, beherrscht. Sorbisch ist eine westslawische Sprache, dem Polnischen wie dem Tschechischen ähnlich. Das dänische Sprachgebiet liegt in Schleswig.

In den letzten fünfzig Jahren sind viele weitere Sprachen als Binnenfremdsprachen hinzugekommen, die – anders als die oben genannten – nicht als Amtssprachen in bestimmten Regionen Deutschlands dienen und als „Migrantensprachen“ bezeichnet werden. Die Vielfalt der Migrantensprachen in Deutschland ist bislang nicht untersucht; statistische Zählungen erfassen lediglich die Staatsangehörigkeiten von zugewanderten Menschen, die wiederum oft keinen verlässlichen Rückschluss auf die von ihnen gesprochenen Erstsprachen zulassen. Zu den wichtigsten Migrantensprachen, die in Deutschland gesprochen werden, gehören ausgehend von diesen Zahlen [ 22 ] das Türkische, Polnische und Russische; viele Sprecher finden sich auch für Italienisch, Rumänisch, Griechisch und Kroatisch. An Sprachkursen für Deutsch als Zweitsprache [ 23 ] nehmen aber auch Menschen mit Herkunftssprachen wie Thai, Paschtu oder Ewe teil. Etwa 16 Millionen Menschen in Deutschland werden von der Statistik als „Personen mit Migrationshintergrund“ geführt; dies entspricht einem Bevölkerungsanteil von 20%. Viele von ihnen besitzen einen deutschen Pass. 31,5% sind in Deutschland geboren, nur 6,5% sind Neuzuwanderer. In welchem Ausmaß in Familie und Freundeskreis auf die verschiedenen Migrantensprachen zurückgegriffen wird, ist bislang ungeklärt.

Neben den Binnenfremdsprachen werden im deutschsprachigen Raum auch mehrere visuelle Sprachen verwendet, die als eigenständige Sprachen anerkannt sind: die Deutsche Gebärdensprache (DGS), die Österreichische Gebärdensprache (ÖGS) und die Schweizerdeutsche Gebärdensprache (SDGS). Auch für Gebärdensprachsprecher ist das Deutsche eine Zweitsprache, deren Struktur sich von denen der visuellen Sprachen nicht nur in ihrer physikalischen Grundlegung, sondern auch hinsichtlich der Lexik, Morphologie und Syntax erheblich unterscheidet. Hinzu kommt, dass Gebärden als lexikalische Einheiten einen anderen Begriffsumfang besitzen als die Wörter einer Lautsprache. Über die DGS informiert das „Handbuch der Deutschen Gebärdensprache“ (Eichmann / Hansen / Heßmann 2012). Strukturen der SDGS werden bei Boyes Braem (1995) vorgestellt. Beispiele für die ÖGS gibt die Internet-Plattform „Sign-it“. [ 24 ]

Die für das gegenwärtige Deutsch zu verzeichnenden gesellschaftlichen Rahmenbedingungen sind also recht komplex. Verschiedene der oben angesprochenen Aspekte weisen bereits darauf hin, dass sich die deutsche Sprache bei genauerer Betrachtung oft als ein wenig einheitliches Gebilde darstellt, dies vor allem, wenn man neben der schriftlichen auch die gesprochene Sprache betrachtet.

Auf unterschiedliche Erscheinungsformen des Deutschen bezieht man sich mit dem Ausdruck Varietäten. Sie werden in der Varietätenlinguistik näher untersucht. Neben der bereits angesprochenen Variation in Abhängigkeit von regionalen Kriterien (Dialekte, Regiolekte) interessiert sich die Varietätenlinguistik für die Variation von Sprache in Abhängigkeit von Zugehörigkeiten zu sozialen Gruppen (Soziolekte), vom Lebensalter (Pädolekte, Gerontolekte), vom Geschlecht (Genderlekte) sowie von Migration und Mehrsprachigkeit (Ethnolekte). Zudem werden auch Fachsprachen häufig als Varietäten einer Sprache aufgefasst. Dabei geht man davon aus, dass Sprecher einer Sprache über mehrere Varietäten verfügen, zwischen denen sie bei Bedarf wechseln können. Der Varietätenbegriff hat in jüngster Zeit stilistische Differenzierungen wie „gehobene Sprache“, „Umgangssprache“ oder „Vulgärsprache“ weitgehend ersetzt und bezieht sich nicht nur auf lexikalische, sondern auch auf phonologische und syntaktische Variation.

Variation ist eng mit Sprachwandel verbunden. Erscheinungen, die zunächst auf bestimmte Varietäten beschränkt sind, setzen sich dann für die gesamte Sprachgemeinschaft durch. Die Sprache kann sich im Verlauf der Zeit auf diese Weise stark verändern. Lexikalische Veränderungen geschehen vergleichsweise recht schnell. So sind in den letzten Jahren beispielsweise eine Reihe von neuen Wörtern und Wendungen in den Wortschatz des Deutschen eingeflossen (E-Mail, SMS, herunterladen / downloaden usw.). Grammatikalische Veränderungen ziehen sich demgegenüber oft über Jahrhunderte hin. Historische und aktuelle Tendenzen der Grammatikalisierung im Deutschen, z.B. in Bezug auf die verschiedenen Kasus, bespricht Szczepaniak (22011).

Unterkapitel:   [ 1.1   1.2   1.3   1.4   1.5   1.6 ][ zum Anfang ]

1.6   Vorgeschichte und frühe Geschichte der deutschen Sprache

►  Die auszugsweise Präsentation des Kapitel 1 endet hier. In der gedruckten Fassung des Buches oder auf der zugehörigen CD-ROM können Sie weiterlesen.

Unterkapitel:   [ 1.1   1.2   1.3   1.4   1.5   1.6 ][ zum Anfang ]

[   1 ] Vgl. Ahlzweig, Claus (1989) (1994).

[   2 ] Haarmann (2001) nennt die Zahl 6.500, Austin (2008, S. 216) die Zahl 6.800.

[   3 ] Die Rede vom „Sprachensterben“ hat zwar eine Motivation im Gedanken an die immer weniger werdenden Sprecher mancher Sprachen, ist aber in der Übertragung auf Sprache eine Metapher.

[   4 ] Crystal (1995) nennt als weitere Sprachen, die linguistisch keine eigenen Sprachen sind: Hindi / Urdu, Bengali / Assamesisch, Flämisch / Niederländisch, Twi / Fante, Xhosa / Zulu.

[   5 ] Lyons, John (61984, S. 36).

[   6 ] Angaben zu Sprecherzahlen und Vorkommen nach Crystal (1995) und Haarmann (1993).

[   7 ] Austin (2008) gibt die Sprecherzahl des Deutschen mit 128 Millionen an.

[   8 ] Haarmann (1993, S. 30).

[   9 ] Die Erklärung für eine große Anzahl von Kasus ist, dass Kasusformen die Aufgaben übernehmen, die Präpositionen im Deutschen innehaben.

[ 10 ] Zur Funktion einer (europäischen) „lingua franca“ vgl. Weinrich (2003).

[ 11 ] „Die deutsche Sprache in der Welt: ‚Netzwerk Deutsch‘ Datenerhebung 2010“, ( www.goethe.de/uun/pub/de5759780.htm ).

[ 12 ] Lewandowski, Theodor (1994).

[ 13 ] Weitere Beispiele bieten Riehl (2009) und das Lexikon „Unser tägliches Latein“ von Kytzler / Redemund.

[ 14 ] Haarmann (2001) Stichwort: Deutsch.

[ 15 ] Der Ausdruck wird als eine chinesische ‚Verfremdung‘ des englischen Worts business angesehen, vgl. Adamzik (2004, 3f.).

[ 16 ] Vgl. dazu Schmidt (2000, S. 36 und 40).

[ 17 ] Vgl. Speitkamp, Winfried (2005) Deutsche Kolonialgeschichte. Ditzingen: Reclam; Gründer, Horst (52004) Geschichte der deutschen Kolonien. Stuttgart: Schöningh UTB.

[ 18 ] Ein Überblick über und Beispiele für entsprechende Formen des Deutschen finden sich bei Riehl (2009, S. 130ff.); detailliertere Ausführungen zu „Deutsch Südwest-Afrika“ bei Mühleisen (2005).

[ 19 ] Kontinental betrachtet, ist das Russische natürlich die Sprache mit den meisten Sprechern.

[ 20 ] Vgl. Zehetner (2005, S. 13 f.).

[ 21 ] Interessierten Lesern stehen auf der CD zum Buch einige Internet-Einstiege zum Lesen und Hören von Dialektbeispielen zur Verfügung, außerdem Regionalprogramme der Medien.

[ 22 ] Statistisches Bundesamt, Bevölkerung mit Migrationshintergrund – Ergebnisse des Mikrozensus – Fachserie 1 Reihe 2.2 – 2010, www.destatis.de/DE/Publikationen/Thematisch/Bevoelkerung/
MigrationIntegration/Migrationshintergrund2010220107004.pdf

[ 23 ] Rund 120.000 Menschen, etwa die Hälfte von ihnen neu zugewandert, besuchen derzeit jährlich einen Sprach- und Integrationskurs, vgl. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (2010) Bericht zur Integrationskurs­geschäftsstatistik für das Jahr 2010. Nürnberg: BAMF.

[ 24 ] www.sign-it.at

Copyright © 2008-2012  Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Tübingen